Wilde Gänse - wilder Whisky? | Glencadam

Rückt die Brennerei aus der zweiten Reihe auf ins Premiumsegment?

Eine kleine Distillery in den östlichen Highlands, 1825 gegründet, die weitgehend handwerklich produziert, keinem Großkonzern gehört und ungefärbten, nicht kühlgefilterten Whisky mit Age Statement auf den Markt bringt – das hört sich doch schwer nach Whisky-Hype an. Ist es aber nicht – noch nicht – und es bleibt hoffentlich auch so.

Glencadam ist eine Distillery, die lange weitgehend unter dem Radar flog, in den letzten Jahren aber immer wieder gute Kritiken bekam und so langsam immer bekannter wird. Die fehlende Reputation mag auch daran liegen, dass der unabhängige Abfüller Angus Dundee, der die im Jahr 2000 stillgelegte Distillery 2003 von Allied Domecq übernahm, nicht wie Gordon & MacPhail oder Signatory für feine Single Cask Abfüllungen bekannt ist, sondern mit Bulk-Whisky handelt und Malts oder Blends für Handelsmarken und andere Firmen abfüllt.

Eilean Donan Castle, Highlands | © Klaus Bölling, www.boelling.de

Glencadam gehört zu den ältesten noch produzierenden Whisky-Destillerien in Schottland und wurde kurz nach der Legalisierung der Whisky-Destillation durch den Excise Act (1823) gegründet. Als offizielles Datum wird 1825 angegeben, aber im Tal der wilden Gänse (Glencadam) wurde wohl bereits vorher Whisky hergestellt. 1954 geht Glencadam an Hiram Walker & Sons, die schottische Gesellschaft des kanadischen Spirituosen-Konzerns. Glencadam war hier nicht als Single Malt Produzent begehrt, die Whiskys waren vor allem Teil der Ballentine’s Blends. 1987 übernimmt Allied Lyons (später Allied Domecq, inzwischen von Pernod Ricard übernommen) Hiram Walker und legt die Distillery 2000 still.

Breite Core Range und integre Whiskys

Bekannt ist Glencadam vor allem für Whiskys aus Ex-Bourbon-Reifung mit einem fruchtig frischen Grundcharakter. Auch das ist weniger spektakulär als besondere Finishes, obwohl auch diese mittlerweile auf den Markt kommen. Glencadam verfügt über eine breite Core Range, die mit drei NAS Whiskys startet, aber dann eine Reihe ungefärbter und nicht kühlgefilterter Whisky mit Age Statement beginnend mit einem 10jährigen aufweist.

Während die Distillery zu Alfred Barnards Zeiten 40.000 Gallonen Whisky herstellte, was etwas mehr 180.000 l sind, produziert man heute lt. Malt Whisky Yearbook 1,3 Mio. Liter Alkohol. Die Fermentationszeit ist mit 52 Stunden relativ kurz, was zum floralen Grundcharakter des Glencadam mit getreidigen Hefenoten beitragen dürfte. Unterstützt wird der Charakter durch die aufsteigenden Lyne Arms, die zu einem hohen Reflux bei der Destillation führen.

Glen Coe, Highlands | © Klaus Bölling, www.boelling.de

Auf dem Weg zum Premium-Whisky?

Inzwischen gibt es auch einige Einzelfassabfüllungen, die allerdings massiv teuer sind. Sicherlich ist das der Beginn des Versuchs, Glencadam ins Premium-Segment zu heben, was in der nächsten Zeit sicherlich zu weiteren Preissteigerungen im Bereich der Core Range führen wird.

Kann die Qualität mit der Premiumisierung mithalten? Insgesamt bleibt mein Gesamteindruck von Glencadam gespalten. Für mich bleiben die Whiskys zu hefe- und gärungslastig, haben zu viele Aromen von bitteren, nicht besonders gut gereiften Weißweinen. Am meisten überzeugt hat mich dann tatsächlich das Einzelfass für Kirsch Import, auch wenn hier der Alkohol initial zu hoch war. Aber es hat nach meinem Geschmack die komplexesten und reifsten Holznoten. Bei den Whiskys der Core Range bleibt bei mir der Eindruck, dass sie insgesamt gut sind – aber irgendwie fehlt der letzte Kick. Es sind gute Whiskys, die ich mögen möchte, die es dann aber doch nicht geschafft haben, mich vollends zu überzeugen.

Klaus Bölling, Juli 2022

Whisky-Tastings der Glencadam Whisky Week 25. - 31. Juli 2022