Wo der Seewolf heult

Wolfburn, die Distillery im wilden Norden

Der Sea Wolf ist ein seltsames Wesen, das sowohl im Meer als auch an Land leben kann, was hier oben an der abgelegenen schottischen Nordküste sicherlich keine schlechte Strategie ist. Auch wenn man nicht so richtig weiß, ob das Land oder die See unwirtlicher sind. Es kann aber auch traumhaft sein, wenn die Sonne scheint und man von den steilen Küsten hinab in abgelegene Sandbuchten schaut oder von nördlichsten Punkt des schottischen Festlands, Dunnet Head mit seinem kleinen Leuchtturm hinüber zu den Orkney Inseln. Ob dies das Reich des Sea Wolfs war? Oder war er doch mehr ein Traumwesen, das der Legende nach diejenigen reich macht, die ihn erblicken? Dann haben ihn zumindest hier im Norden Schottlands nicht viele Menschen gesehen. Außer vielleicht dem Team der Wolfburn Distillery in Thurso, deren Wappentier der Sea Wolf ist.

Dunnet Head, nördlichster Punkt der britischen Insel | © Klaus Bölling, www.boelling.de

Zu finden ist der Seewolf in Edward Topsell’s Geschichte der vierbeinigen Bestien und Schlangen, die 1658 in London erschienen ist. Dort ist der von 100 Jahre zuvor verstorbenen schweizer Naturforscher Conrad Gessner beschriebene Sea Wolf abgebildet. Und diese Abbildung dient als Logo der Brennerei Wolfburn in Thurso. Dort steht er auch als Skulptur vor der Brennerei. Dass aber reale Vertreter der seltsamen Spezies um die Brennerei im Gewerbegebiet streifen, ist unwahrscheinlich, im Schottland der Seeungeheuer aber auch nicht ausgeschlossen.

Schottlands Norden | Traumlandschaft und brüchige Idylle

Schottlands Norden ist eine wilde, dünn besiedelte Traumlandschaft mit wenigen Siedlungen, schroffen Klippen und traumhaften Sandstränden. Die nordöstliche Ecke von Mainland Scotland bildet die Grafschaft Caithness mit den Hafenstädten Wick an der Ostküste und Thurso an der Nordküste. Mit einer Ausdehnung von gerade 50 x 50 km ist Caithness nur eine kleiner Teil des schottischen Nordens, den Hauptteil macht Sutherland aus, das Südland der Wikinger. Der Norden ist auch nicht so stark gälisch geprägt wie der der Rest Schottlands, sondern war das Reich der Pikten und dann lange in der Hand der Wikinger und Nordmänner.

Über Teile von Caithness und Sutherland erstreckt sich The Flow Country, eines der größten Moorgebiete Europas, ein Deckenmoor, dass sich auf einer Fläche von mehr als 400.000 Hektar ausbreitet und nach Versuchen der Entwässerung und Bewaldung in den 1970er und 1980er Jahren inzwischen großflächig unter Schutz steht und wieder entwaldet wird. Und so zeigt die nördliche Idylle an vielen Stellen Brüche. Nicht weit von Thurso befindet sich Dounreay Nuclear Power Development Establishment, ein Komplex aus mehreren zivilen und militärischen Atomanlagen und Wiederaufbereitungsanlagen, die ab 1950 hier errichtet und 2008 stillgelegt wurden. Es zeugt vom Glauben in die Sicherheit dieser Anlagen, dass sie in der äußersten nördlichen Ecke der britischen Insel errichtet wurden. Für die Region war das ein massiver Umbruch – aber auch eine wirtschaftliche Chance. Viele Menschen, die ein karges Leben als Crofter führten, fanden hier neue Arbeitsplätze. Wer mit der Fähre von Gills Bay hinüber nach Orkney fährt, kommt an den Inseln Stroma und Swona mit ihren verlassenen und langsam verfallenden Häusern vorbei, die in den 1960er und 1970er Jahren endgültig von ihren letzten Bewohnern verlassen wurden.

Dounreay Nuclear Power Development Establishment | © Klaus Bölling, www.boelling.de

Neue Distillery mit alten Wurzeln

Die Hafenstadt Thurso hat ca. 8.000 Einwohner und wurde um das Jahr 1000 unserer Zeit von den Wikingern gegründet. Der Hafen lag günstig für die Verbindungen nach Orkney und Shetland sowie nach Norwegen. Und auch heute verkehrt die Northlink Fähre ‚MV Hamnavoe‘ zwischen Thurso und Stromness auf Mainland Orkney. Eine weitere Fährverbindung nach Orkney gibt es ein paar Kilometer weiter östlich mit Pentland Ferries zwischen Gills Bay und St. Margaret’s Hope. Bis 1266 war Caithness Teil des Reichs der Jarle von Orkney, erst mit dem Frieden von Perth wurde die Grafschaft als Teil Schottlands anerkannt – Orkney und Shetland blieben weiterhin Teil Norwegens.

Und der Whisky? Lange war hier oben im Norden die 1826 gegründete Pulteney Distillery in Wick die letzte verblieben Distillery. 2013 hat sich dann der Wolf in Thurso angesiedelt und war fortan die nördlichste Destillerie auf dem schottischen Festland. Aber wie überall in Schottland gibt es auch hier oben aktuelle Neugründungen, schließlich ist die Region durch die Touristenroute North Coast 500 zu einem attraktiven Ziel geworden. Ob es für all diese neuen Whiskys am Ende einen Markt und eine eigene Identität geben wird, werden wir sehen.

Auch Wolfburn bezieht sich auf Vorgänger. 1821 wurde eine Destillerie in Thurso gegründet, die sich schnell zur größten Distillery in Caithness entwickelte und 1826 etwa 125.000 Liter Whisky herstellte. Von Dauer war der Erfolg nicht, bereits 1858 schloss die Destillerie und die Anlagen wurden verkauft. Verblieben sind nur noch wenige Spuren, wie ein kleiner, gemauerter Wasserlauf und Reste der Fundamente.

Caithness | © Klaus Bölling, www.boelling.de

Junge Whiskys mit Potential

Die neue Destillerie wurde ab 2012 gebaut und ein Jahr später eröffnet. Sie ist unspektakulär und zweckmäßig in einer Industriehalle untergebracht und bezieht ihr Wasser wie die Vorgänger-Brennerei aus dem Wolfburn, der in den Hügeln oberhalb des Destillerie entspringt. Die Distillery kann besucht werden, auch wenn sie kein Fermentiert wird bis zu 90 Stunden, um fruchtige und florale Aromen zu bekommen, die dann auch recht langsam destilliert werden. In der Core Range gibt es den Northland  der in Ex-Islay Quarter Casks reift, den Aurora aus Bourbon- und Sherry-Fässern, Morven, aus mit 10 ppm getorftem Malz und Langskip mit erhöhtem Alkoholgehalt aus 1st fill Bourbon-Fässern. Daneben erscheinen Small Batch Abfüllungen mit undurchsichtigen nummern, die auf den Lagerplatz der Fässer hinweisen, Einzelfass-Abfüllungen aus einer Runen-Serie und diversen Sonderabfüllungen zu Weihnachten, Valentinstag, Gartenfesten und was auch immer.

Darunter lassen sich teilweise schöne Abfüllungen entdecken – das Grundproblem vieler Wolfburn-Abfüllungen und insbesondere der Core-Range ist jedoch das fehlende Alter. Ohne wirklich herausragende Fässer oder ein Fassmanagement mit Finish oder STR-Fässern reicht die kurze Reifezeit nicht aus, um wirklich eindrückliche Whiskys entstehen zu lassen. Hieran wird Wolfburn arbeiten müssen, um nicht unter all den anderen jungen Destillieren mit teilweise der gleichen Problematik unterzugehen. Das wäre schade, denn einige Small-Batches oder Finishes zeigen das Potential dieser Distillery im Norden Schottlands. Jetzt wird es Zeit für den nächsten Schritt: Eigenständiger, ordentlich gereifte Whiskys mit Altersangabe.

Klaus Bölling, April 2022

Wolfburn Vertical Blind Tasting | Friendly Mr. Z

Grundlage der Whiskys für die Wolfburn Week ist das Wolfburn Vertical Blind Tasting auf dem Youtube Kanal von Friendly Mr. Z plus der Ergänzung durch den No. 318. Leider waren die Teilnehmer:innen nicht so richtig überzeugt von den Whiskys, die alle noch zu jung und ungereift waren. Daher verzichte ich hier auf das Ranking und verlinke nur das Video des trotzdem interessanten Tastings.

Whisky-Tastings der Wolfburn Week 25. April - 01. Mai 2022